Schwere Kindheit – Grund oder Ausrede?

Neulich sagte ein Freund zu mir, ob es nicht lächerlich sei, ständig das Verhalten anderer mit ihrer Kindheit zu entschuldigen.

Ich antwortete, dass ich es nicht für lächerlich halte. Es kommt eben darauf an, wie man damit umgeht.

Wenn man sich so lange mit alten Glaubensmustern befasst, erscheint es einem nun einmal einfach nur logisch, dass es so ist. Also, dass die Gründe für unsere Verhaltensweisen vorwiegend in unserer Kindheit liegen.

Sicherlich gibt es Ausnahmen und Grenzen:

Wenn zwei Geschwister Zeugen eines schwierigen Erlebnisses in ihrer Kindheit wurden, können sie sich trotzdem unterschiedlich entwickeln und als Erwachsene gut oder eben weniger gut damit umgehen. Und es gibt Erlebnisse oder Einflüsse, die uns erst im späteren Leben nachhaltig beeinflussen.


Unsere Eltern sind unsere Vorbilder

Grundsätzlich ist dennoch so, dass uns diese Prägungsjahre bestimmen. In dieser Zeit werden viele Samenkörner gelegt. Nicht nur von unseren Eltern, sondern auch von anderen Bezugspersonen oder eben der Gesellschaft, in der wir aufwachsen und wo wir früh lernen, was man tut und was nicht.

Wenn ich also vom Inneren Kind spreche, meine ich damit den Teil in uns, der noch so handelt, als hätten wir seit unserer Kindheit keine große Entwicklung durchgemacht. Mehr davon kannst du im Artikel "Wie du dein Inneres Kind heilst" nachlesen, wenn dich auch die Thematik interessiert, wie man mit den alten Mustern umgehen und sie lösen kann.

Warum wir uns nur in Ausnahmefällen an bestimmte Erlebnisse oder Erfahrungen aus unserer frühen Kindheit erinnern, hat den Grund, dass ungefähr zwischen dem 6. und 7. Lebensjahr in unserem Gehirn noch einmal eine deutliche Umstrukturierung stattfindet.

Aus diesem Grund eignet sich ein sehr entspannter Zustand bei der Identifikation alter Überzeugungen besonders, um dem Unterbewusstsein dabei genügend Raum zu geben. Dein Verstand würde sich über einige deiner Überzeugungen nämlich totlachen oder sie wären ihm peinlich.


Ein vollständiger Erwachsener erwächst aus einem vollständigen Kind. Es ist nicht erforderlich, das Kind zu zerstören, damit der Erwachsene hervortreten kann. Wir alle müssen unser inneres Kind finden und heilen, damit wir vollständig werden.
Namua Rahesha

Was sind alte Verhaltensmuster aus der Kindheit?

Leider sind diese Verhaltensmuster natürlich selten so offensichtlich, als wenn wir heute noch zum Einschlafen einen Schnuller brauchen. Oft sind es Erfahrungen, die wir in unserem Leben immer wieder zu machen scheinen.

Was passiert dir in deinem Leben immer wieder?

Es ist tatsächlich so, dass wir alte innere Überzeugungen wie eine Schablone auf unsere Realität legen, auch, wenn diese gar nicht mehr zeitgemäß ist. Du wirst überrascht sein, wie kindlich dein Innerstes oft noch ist, wenn du die Schichten darüber hinunternimmst und dir die Überzeugungen ansiehst, die noch in dir existieren.

Wie das geht?

Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten. In einer Therapie oder sogar im Rahmen eines Coachings hinterfragt eine außenstehende Person deine Überzeugungen.

Der Einfachheit halber, zeige ich dir die Methode mit Coaching-Fragen:

Du kommst also zum Coaching mit dem Problem, dass du nie lange Beziehungen führst oder bei Vorgesetzten immer aneckst (einfach ein Thema, das du gerade hast). Schritt für Schritt gehen wir dann an das Gefühl dahinter:

  • Welches Gefühl kommt dazu hoch?
  • Kennst du das von früher?
  • Kannst du dich an eine Situation erinnern, in der du dich schon einmal so gefühlt hast?
  • Was ist in dieser Situation passiert?
  • Was hast du daraus gelernt? (Positives!)
  • Was hast du daraus gelernt (Negatives!)

-> und hier findest du deine alte Überzeugung.

Diese kann z. B. lauten, dass du nur verletzt wirst, wenn du dich an jemanden bindest, dass du dich wehren musst, um überleben zu können etc. Diese Überzeugungen können, wie oben schon erwähnt, oft überraschend unlogisch sein!


Überzeugungen sind gefährlichere Feinde der Wahrheit als Lügen.

F. Nietzsche

Wie arbeite ich mit meinem Inneren Kind?

Wenn dir in deinem Leben Liebe, Verständnis oder Selbstwert fehlen, wäre es auf jeden Fall eine gute Idee, bei deiner Kindheit anzusetzen. Auch, wenn es in deinem Leben einen roten Faden zu geben scheint und dir Dinge immer wieder passieren und du das ändern möchtest.

Bei dieser Arbeit setzt du dich mit deinen tiefsten Gefühlen auseinander, indem du eine Art Reise zu deinem jüngeren Ich unternimmst. Du prüfst, wie es dem Kind geht und wonach es sich sehnt.

Wenn du zum Beispiel eine Meditation machst, bei der du deinem Inneren Kind begegnest, wirst du schnell fühlen, feststellen, was es noch braucht.

Die Innere-Kind-Arbeit dient dazu, alte Defizite aufzudecken und entweder zu erfüllen oder das, was war, friedvoll anzunehmen. Das kann sich ungemein auf dein Erwachsenenleben auswirken, weswegen diese Arbeit auch intensiv, oft schmerzhaft, aber sehr kraftvoll ist.

Schaue dir dazu gerne mein Video an:

Was tun, wenn die alte Überzeugung gefunden ist?

Eine gute Frage!

Hier gibt es zahlreiche Optionen – je nachdem, mit welcher Methode du arbeitest. Eine Möglichkeit ist, dass du dir diese Überzeugung ins Bewusstsein rufst, wenn du dich in einer für dich typischen schwierigen Situation befindest und dann ganz bewusst von deinem kindlichen Ich ins erwachsene Ich wechselst.

Das bedeutet konkret, dass du nicht wie sonst, automatisch reagierst, sondern vielleicht erst einmal durchatmest und dir überlegst, was die Situation gerade mit dir macht und wie ein Mensch darauf reagieren würde, der deine Überzeugung nicht hat.

Das heißt, du triffst in diesem Moment eine ganz bewusste Entscheidung. Und das kannst du erst, wenn du dir dieser alten Überzeugung bewusst bist!

Vielleicht denkst du jetzt: "Wie soll ich das denn lernen? Ich merke doch gar nicht, wie ich denke, weil ich das doch automatisch tue!"

Natürlich erfordert dieses Bewusstwerden eine gewisse Übung und wenn es dich interessiert, kannst du dir gerne auch mal meinen Inneren-Kind-Kurs dazu ansehen oder in der Achtsamkeitsakademie vorbeischauen.

Referenzerfahrungen machen

Natürlich ist die Sache nicht mit einem Mal erledigt. Dein Gehirn braucht Referenzerfahrungen, sprich, es darf lernen, dass es auch andere Möglichkeiten gibt, zu reagieren oder ganz grob gesagt, es darf verstehen, dass es immer eine alternative Sicht auf die Welt gibt.

Wenn du heute z. B. denkst, dass Arbeit keinen Spaß machen darf, kann sich das Schritt für Schritt ändern. Dabei ist es hilfreich, intrinsische Erfahrungen zu machen, die dir das Gegenteil zeigen. Das heißt, du erfährst eine Situation selbst und kannst die neue Erfahrung in dir "abspeichern".

Du kannst hierfür z. B. bewusst Elemente in deinen Arbeitsalltag einbauen, die dir Freude bereiten: Mittagessen mit netten Kollegen und diese Erfahrung ganz bewusst als etwas Positives wahrnehmen.

Zusätzlich hilft es, dich der Möglichkeit zu öffnen, dass es viele Menschen gibt, die diese Überzeugung nicht haben.

Kurz: Finde heraus, dass deine Überzeugung nicht die Wahrheit ist!

Übrigens ist das Wissen, dass es nicht die eine Wahrheit gibt, etwas, das dir in Zukunft auch die Kommunikation und den Umgang mit anderen Menschen leichter machen kann. Sei dir bewusst, dass sie ihre eigene Wahrheit haben und es nicht in deiner Macht liegt, diese mit ein paar Worte zu verändern.

Was du aber tun kannst, ist anderen Menschen positive Erfahrungen zu verschaffen. Oder du kannst sie leichter annehmen und so sein lassen, wie sie sind oder einfach gehen lassen.

Kennst du Menschen, die grundsätzlich unhöflich sind, weil sie sich ungerecht behandelt fühlen? Gerade solchen Menschen ein Lächeln zu schenken, sie an der Kasse vorzulassen etc. kann ein Stückchen ihre Welt verändern.

Aber das nur nebenbei.

Ist die Kindheit nun schuld?

Um den Kreis zu dem Gespräch mit meinem Bekannten zu schließen:

Es geht nicht darum, seine Defizite mit der Kindheit zu entschuldigen.

Wir sind heute erwachsen und tragen somit die Verantwortung für unser Leben. Das verantwortungsvollste, das wir tun können, ist, dass wir uns mit unseren Altlasten auseinandersetzen. Für uns, für unser Umfeld, für unsere Kinder.

Und selbst, wenn wir nicht alles auflösen und heilen können: alleine die Erkenntnis und das bewusste Handeln danach machen einen riesigen Unterschied für unser Leben, unsere Beziehung zu uns selbst und natürlich zu anderen.

Das meiste, was uns heute im Weg steht, wurde vielleicht in der Kindheit verursacht, aber es ist jetzt an uns, uns diesen Themen zu stellen, wenn sie uns im Erwachsenenleben belasten oder wir anderen damit nicht gut tun.




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